Die heurige Herbstfahrt des Heimatpflegeverbands – Bezirk Burggrafenamt fand heuer am 14. November statt und führte 29 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Unterlandler Berggemeinden Truden und Altrei.
Bereits unter Österreich-Ungarn gehörten beide Gemeinden zum Kreis Trient und wurden erst 1948 an die Provinz Bozen angegliedert. Aufgrund der Randlage hat sich ein eigenständiges Stück deutschsprachiger Unterlandler Kultur ausgebildet, das stets in regem Austausch mit den Fleimsner und Cembraner Nachbarn stand und immer noch steht.
Die interessierten Teilnehmer/innen fanden sich Schlag 12 am Praderplatz ein und nicht wenige fuhren zum ersten Mal nach Altrei bzw. Truden, in einen der wenigen verbliebenen „blinden Winkel“ Südtirols.
Die beiden Leiter der Fahrt waren Georg Hörwarter, Bezirksobmann des Heimatpflegevereins Burggrafenamt, ein erfahrener und bewährter Fahrtenbegleiter in heimatkundlichen Fragen, sowie Johannes Ortner, Obmann des Heimatschutzvereins Meran. Alsbald griffen beide beherzt zum Bordmikro um quasi im Vorüberfahren auf das eine oder andere wissenswerte Detail über ein Dorf, eine Burg, eine Kirche und ihr Patrozinium, oder die Herkunft eines Ortsnamens aufmerksam zu machen.
Der milde Nachmittag war nur einer in einer langen Serien des nicht enden wollenden goldenen Herbstes 2015. Trotzdem war Eile angemahnt, denn Nachmittage Mitte November währen bekanntlich nicht ewig.
Über die Neumarktner Vill ging’s hinauf nach Montan und auf der Fahrstraße nach Kalditsch, die regelrecht in die Felsflanken geschlagen wurde. Von oben eröffneten sich überraschende Ausblicke auf das „Arkadien Tirols“, den Flaumeichen gesäumten Felshügel von Castelfeder mit seiner uralten Geschichte.
Vor uns die ungleichen Zwillinge Weiß- und Schwarzhorn im Blick, ließen wir den Pausahof mit seiner kleinen Kapelle Maria Hilf unddie ehemals wichtige Raststation Kaltenbrunn – wo im 19. Jahrhundert eine Bierbrauerei bestand – hinter uns und gelangten zur Streusiedlung S. Lugano nahe der Passhöhe auf 1142 m Seehöhe.
S. Lugano wurde 1913 eigenständige Gemeinde, gehörte ab 1926 zur Gemeinde Truden, ist jedoch italienischsprachig, d. h. eine „Fleimsner“ Minderheit in der Provinz Bozen. Die Häusergruppen La Turchia, La Erzegovina und La Bosnia erinnern an kasernierte Gefangene während des Ersten Weltkriegs. Während dieses Krieges ist ja auch die Fleimsner Bahn von russischen Kriegsgefangenen in kürzester Zeit errichtet worden, freilich nicht zu touristischen Zwecken, sondern als Nachschublinie für die Dolomitenfront.
Auf der Passhöhe erblickt man das Kirchlein zum Hl. Lukanus, dem Patron von Belluno. 1225 erfolgt die Kirchenweihe in der Gegend in silva („im Walde“), 1335 lässt die Generalgemeinde Fleims einen Hof errichten, der als Hospiz dienen sollte (heute Gasthaus Rose).
Auf der Passhöhe dann die Abzweigung nach Altrei. Die Straße verläuft durch das Gemeindegebiet von Carano (Fleims). Der Blick schweift über Fleims hinweg bis auf die gegenüberliegende Bergkette der Lagorai.
In weiten Kurven fahren wir durch den goldbraun gefärbten herbstlichen Lärchenwald und erreichen bald wunderbare Weidewiesen an der Grenze zur Gemeinde Altrei. Solche Lärchenwiesen werden von den Bauern immer noch mehrfach genutzt: einmal als Wiesmahd und als Weide, das andere Mal zur Holznutzung und schließlich zur Gewinnung von Lörget, dem Lärchenpech, das zum Dichtmachen der Fässer und als Heilmittel Verwendung findet.
In der Ferne erscheint bereits der Altreier Kirchturm zur Hl. Katharina, am Ende eines lang gezogenen Straßen- bzw. Gassendorfs. In der Mundart wird nach wie vor Foltrúi gesagt. Der Name Altrei leitet sich von Antereu „zwischen den Bächen, zwischen den Gräben“ ab, die Fleimsner Nachbarn sagen Anterif. Das Dorf selbst gehört geografisch bereits zum Cembratal, das Gemeindegebiet reicht hinunter bis zum Stramentizzo-Stausee und damit zum Avisio (Efesbach).
Altrei ist eine relativ junge Siedlung und verfügt quasi über eine Geburtsurkunde: Am 24. Juli 1321 machte König Heinrich von Böhmen eine Schenkung zugunsten des Gottschalk von Bozen, Gerichtsherr zu Enn-Caldiff. Diese Schenkung umfasste zehn Höfe in der Gegend von Antereu, eine Gegend, die bisher von den Fleimsner Nachbarn beweidet wurde.
Diese zehn Gründerhöfe sind im heutigen Gemeindewappen durch zehn Felder symbolisiert. Altrei behielt durch die Jahrhunderte eine gewisse Eigenständigkeit, verfügte über einen eigenen Burgfrieden und sprach Recht im Turm am Ort. Der Hof „am Ort“ besteht immer noch, etwas abseits des Dorfs, er ist Urheimat der „Amort“. Erst 1779 wurde Altrei dem Gericht Cavalese angegliedert.
Die Ausflüglerinnen und Ausflügler schlendern die Dorfgasse entlang Richtung Kirche und Friedhof, wo sich der Blick im südlichen Gegenlicht verliert. Tief unter uns rauscht der Efesbach, die Nachbardörfer Capriana und Carbonare sind zu erkennen. Einen Steinwurf vor uns der wahrscheinlich schon frühgeschichtlich besiedelte Altreier Burgstall. Ansonsten ist dieses Dorf auffallend ruhig, kein offenes Dorfgasthaus, kaum Einheimische sind unterwegs – also wird nichts aus der Verkostung des bekannten Altreier Kaffees aus den Samen der blauen Lupine.
Georg Hörwarter öffnet uns die Pforten zur Hl. Katharina und führt uns die kunsthistorischen und ikonografischen Besonderheiten vor Augen.
Eine Marmortafel erinnert an den größten Sohn des Dorfs, nämlich an Johann Baptist Zwerger, den Bischof von Seckau-Graz. den Bischof von Seckau-Graz.
Mit dem umsichtigen Busfahrer von Paris-Reisen gings nun zum Geburtshaus des Johann Baptist Zwerger. Eine kleine Seitenstraße führte uns in den Weiler Guggal, wo sich dem Bus auf einem Parkplatz eine Wendemöglichkeit bot. Kaum ausgestiegen, fragten uns einige Foltruier, ob wir denn aus der Steiermark kämen? Tatsächlich stehen wir bald vor dem kleinen Dorfmuseum, das in der ehemaligen Scheune und im Wohnhaus des J. B. Zwerger eingerichtet wurde. Der Museumswärter ist zugegen und sperrt uns auf. Wir schreiten durch niedere Stuben und bestaunen die spartanisch eingerichtete Schreib- und Studierstube sowie die Liegestatt des späteren Bischofs. Videos und Schautafeln erläutern das bäuerliche Leben in Altrei sowie das Leben Bischof Zwergers. Auf hölzernen Söldern und über enge Treppen huschend begutachten wir die bescheidenen Anfänge einer großen Karriere: vom Bauernbub zum Hermelinpelzträger!
Wir bedanken uns mit einer kleinen Spende fürs Aufsperren und fahren bald weiter zurück durch die Lärchenhaine, über S. Lugano und schlagen bei Kaltenbrunn den Weg in Richtung Truden ein.
Die Fahrt auf den kleinen Sattel von Truden wird von Liebhabern traditioneller Kulturlandschaften gerühmt. Unter uns die Feuchtwiesen des Stampfermoos, gesäumt von Erlenreihen, darüber die Wiesenfluren der bekannten Rentschwiesen mit ihren Heckenzeilen. Eine Bilderbuchlandschaft!
Am Sattel angelangt, öffnet sich unter uns die Dachlandschaft des einzigartigen Dorfs Truden (1127 m, 1000 Einwohner), das sich am Südhang des Sattels erstreckt.
Vor uns ausgedehnte Waldhänge, bestehend aus Fichten, Tannen und Buchen, bis zum Trudner Horn. Dieses Trudner Horn, bereits zur Gemeinde Capriana gehörend, war namengebend für den Naturpark Trudner Horn, des Waldparks Südtirols. Truden selbst besteht aus 80 % Waldfläche und nur 16 % landwirtschaftlich genutzter Fläche. Besonderheiten laut Dorfbuch: idyllische unverbaute Landschaft, würzige Waldluft.
Bereits seit Urzeiten ist der Weg von Neumarkt durch das Mühlental entlang des Trudner Bachs viel begangen. Weiter führt dieser Weg über S. Lugano in den Fleimsner Hauptort Cavalese, über den höheren Ziss-Sattel (romanisch incisa „Einschnitt“)verläuft eine alte Handelsroute über Feltre nach Venedig.
Ins Licht der Geschichte trat Truden erstmals im leicht zu behaltenden Jahr 1111, als der Trientner Bischof Gebhard die Höfe von Steuern befreite. Dafür mussten die Trudner 24 Arimannien unterhalten. Diese Arimannen waren Wehrmänner (Bauernmiliz) im Dienste des Trientner Bischofs und mussten mit Naturalien, Pferden, Almnutzen und Geldleistungen, dem sogenannten Romanie–Zins, unterhalten werden.
Truden gehört heute noch zur Generalgemeinde Fleims (Magnifica Comunità di Fiemme) mit Hauptsitz in Cavalese. Auch heute noch wird den einzelnen Mitgliedergemeinden jährlich der Erlös aus dem Holznutzungsrecht anteilsmäßig überwiesen!
Die Herren von Enn-Caldiff unterhielten in Truden Schwaighöfe (Höfe, die der Viehzucht, der Butter- und Käseproduktion dienten, kein Kornanbau), damit auf der Reif (Floßanlegestelle und Holzstapelplatz an der Etsch) in Neumarkt immer genügend Last- und Zugtiere für den internationalen Warentransport zur Verfügung standen. Der Überschuss an Produktion wurde an den Jahrmärkten in Neumarkt (burgus Enne) verkauft.
Jüngere Rodungsinseln in Truden sind die Höfe Runggen, Rungganö, Pezza (Roncomarzolo), der Wortbestandteil romanisch *ronco bedeutet so viel wie „Rodung“!
Nach dem Genuss von Cappuccino und Torten machten wir uns auf zu einer kurzen Wanderung vom Gasthof Goldener Löwe (vulgo beim Nandler) ins von Hexen bewohnte Scaratal zu einem wieder aufgerichteten Kalkofen, dessen Funktionsweise dank einer Informationstafel erläutert wurde. Der gelöschte Kalk wurde zum Anstreichen der Häuser, zum Desinfizieren der Ställe, zum Haltbarmachen von Eiern usw. benutzt.
Überraschend öffnet sich von einer steilen Wegstelle namens Klåpf der Blick auf das in den Hang hinein gebaute Dorf Truden, durch dessen enge Gassen immer wieder mal eine Ape (Dreiradler) durchbraust. Diese Gefährte genießen in Truden und Altrei einen gewissen Kultstatus.
Hinter dem Dorf die urgeschichtliche Waldkuppe des Forchwaldspitz und die zugewachsenen Bergwiesen, welche die Mauerreste einer ehemaligen Einsiedelei (Romita)beherbergen. Langsam verschluckt die einbrechende Dämmerung die Landschaftsbilder.
Unterwegs treffen wir mit Luis Zelger einen waschechten Trudner, der uns im einzigartigen Trudner Dialekt seinen schönen Kååbes präsentiert. Alte und lokal angepasste Gemüsesorten wie Kohlköpfe und Erdäpfel, hier Tuufl genannt, sind ja ein Aushängeschild dieser Berggemeinde. Wenn’s die Trudner übertreiben sagen die Nachbarn: Die Truudner Kååbes: zwoa Ke-ipf af oan Stingl (zwei Kohlköpfe auf einem Stiel). Grundnahrungsmittel ist der Pläint (Polenta), der in einem Ke-isl möglichst langsam gakoucht wird.
Führung durch die Pfarrkirche St. Blasius
Zurück bei der Kirche wartet Georg Hörwarter auf uns für eine Kirchenführung. Vor der Kirche steht eine uralte Dorflinde, der Lindapam, aus der der Überlieferung nach der sogenannte Schugl herausrinnt. Der Schugl ist eine Milch-Maismehlspeise, die Folgenahrung für Kleinkinder nach dem Abstillen. Dieser Schugl wurde zur Symbolspeise Trudens, daher der Übername Schugler für die Einwohner Trudens.
Das Patrozinium des Hl. Blasius ist ein Indiz für die Trientner Grundherrschaft, eine Blasiuskapelle befindet sich ja in der Trientner Bischofspfalz. Bei Ausgrabungen in der Kirche wurde ein beachtliches Münzdepot gehoben, später war die Kirche Ziel von Wallfahrten. Der Hl. Blasius, dessen Tag am 3. Februar fröstelnd von der Dorfbevölkerung gefeiert wird, wird mit gekreuzten Kerzen vor der Brust dargestellt. Der gespendete Segen hilft gegen Halskrankheiten aller Art.
Abendessen im Gasthaus Goldener Löwe
Im Gasthaus Goldener Löwe klang unser erlebnisreicher Nachmittag bei einem guten und vor allem gut vorbereiteten Abendessen aus, einige Fläschchen Rotwein durften auch daran glauben. Nach einigen Jodelversuchen gemahnte die Gruppe zum Aufbruch und dank der umsichtigen Fahrt gelangten wir wohlbehalten zurück in die heimatliche Passerstadt.
Text: Johannes Ortner, Fotos: Manfred Ebner